Die Zinswende kommt: Mit Macht in den USA …

… und im Schneckentempo in der Eurozone. Aufgrund der expansiven Wirtschaftspolitik hat sich die Weltwirtschaft sehr schnell vom Corona-Schock erholt. Gleichzeitig ist aber auch die Inflation in vielen Ländern sehr stark angestiegen. Bisher gingen die meisten Volkswirte und Notenbanken davon aus, dass sich der Inflationsschub als temporäres Phänomen erweisen und es nicht lange dauern würde, bis die Inflationsrate wieder in Richtung zwei Prozent sinkt. Aber vielleicht begeht man einen ähnlichen Denkfehler wie vor der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009, als man glaubte, dass die Schwierigkeiten bei sogenannten Subprime-Hypotheken ein sehr isoliertes Problem eines einzigen Sektors der US-Wirtschaft sei?

Als die Corona-Pandemie vor zwei Jahren die Weltwirtschaft erschütterte, haben die Notenbanken in den Industrie- und Schwellenländern nicht lange gefackelt: Weltweit wurden die Leitzinsen gesenkt, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Als „Verstärker“ haben zudem die Federal Reserve in den USA und die Europäische Zentralbank umfangreiche Anleihekaufprogramme gestartet und Wertpapiere, wie Staats- und Unternehmensanleihen sowie Pfandbriefe bzw. hypothekenbesicherte Anleihen (MBS) gekauft. Die Summe der von der US-Notenbank gehaltenen Wertpapiere hat sich aus diesem Grund von gut vier auf fast neun Billionen US-Dollar mehr als verdoppelt, die der EZB ist von knapp fünf auf fast neun Billionen Euro angewachsen.

Corona-Pandemie: Weltwirtschaft erholte sich

Aufgrund der expansiven Wirtschaftspolitik (nicht nur die Geldpolitik, auch die Fiskalpolitik hat seit 2020 Vollgas gegeben) hat sich die Weltwirtschaft sehr schnell vom Corona-Schock erholt. Gleichzeitig ist aber auch die Inflation in vielen Ländern sehr stark angestiegen. Da sich die globale Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen schneller als das Angebot erholt hat und viele Privathaushalte – zum nicht unerheblichen Teil dank staatlicher Unterstützung – über hohe finanzielle Mittel verfügten, konnten Unternehmen ihre gestiegenen Kosten problemlos auf die Verbraucher überwälzen. Mittlerweile ist die Inflationsrate in vielen Ländern so hoch wie seit 40 Jahren nicht mehr.

Preise ziehen überall an

Hauptursache für die hohen Preissteigerungsraten waren zunächst die gestiegenen Energiepreise, aber mittlerweile ist auch in den übrigen Komponenten des Warenkorbes zu sehen, dass die Preise anziehen. Aufgrund des russischen Angriffskrieges werden die Energiepreise noch längere Zeit auf einem hohen Niveau verbleiben oder sogar noch teurer werden. Da Russland und die Ukraine aber auch wichtige Exporteure von Weizen sind, werden zudem die Nahrungsmittelpreise ansteigen. Gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit in vielen Ländern gering, sodass die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale zunimmt.

Inflation könnte vielleicht auch dauerhaft höher ausfallen als in der Vergangenheit

Bisher gingen die meisten Volkswirte und Notenbanken davon aus, dass sich der Inflationsschub als temporäres Phänomen erweisen und es nicht lange dauern würde, bis die Inflationsrate wieder in Richtung zwei Prozent sinkt. Aber vielleicht begeht man einen ähnlichen Denkfehler wie vor der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009, als man glaubte, dass die Schwierigkeiten bei sogenannten Subprime-Hypotheken ein sehr isoliertes Problem eines einzigen Sektors der US-Wirtschaft sei?

Aufgrund der engen Verzahnung der Weltwirtschaft und der internationalen Kapitalmärkte werden heute Entwicklungen in einer Region sehr schnell auf andere Regionen übertragen. Dies gilt im Positiven wie im Negativen, und es kann somit auch schneller als früher zu nachhaltigen Veränderungen bei gewohnten wirtschaftlichen Abläufen kommen.

Von daher sollte man zumindest nicht kategorisch ausschließen, dass wir es auch in Zukunft mit höheren Inflationsraten zu tun haben werden, als wir dies aus den vergangenen 30 Jahren gewohnt waren.

Zudem ist der Inflationshöhepunkt vermutlich auch immer noch nicht erreicht.

In Deutschland, in der Eurozone und in den USA wird die Inflationsrate bis zum Sommer wohl auf mindestens acht Prozent ansteigen (in einigen Ländern der Eurozone sind die Konsumentenpreise bereits jetzt um zehn Prozent höher als im Vorjahr), da sich Strom- und Gaspreise sowie Nahrungsmittel in nächster Zeit weiter verteuern werden.

Wie es danach weiter geht, hängt vor allem davon ab, ob es zu einer Lohn-Preis-Spirale kommt.

Da sowohl in den USA als auch in der Eurozone die Arbeitslosigkeit sehr niedrig ist, ist das Risiko, dass es zukünftig zu höheren Lohnabschlüssen kommen wird, größer als in der Vergangenheit. Somit könnte auch für die Phillips-Kurve, die den Zusammenhang zwischen der Arbeitslosenquote und der Inflationsrate beschreibt, die Aussage gelten: „Und sie existiert doch.“

Das veränderte Inflationsumfeld wird viele Zentralbanken dazu veranlassen, ihre Geldpolitik anzupassen und bei den Zinsen umzusteuern. In den Schwellenländern ist dieser Prozess schon seit letztem Jahr in vollem Gange. Dies liegt daran, dass die Inflationsraten zum Teil noch deutlich stärker angestiegen sind als in den Industrieländern, was auch auf die Stärke des US-Dollar bzw. die Schwäche der Emerging-Market-Währungen zurückzuführen ist. Vor allem in Lateinamerika und in Osteuropa sind die Zinsen kräftig gestiegen, weniger dagegen in Asien.

Dies sind keine guten Voraussetzungen für das Wirtschaftswachstum der Schwellenländer, und wir befürchten, dass die Geldpolitik im nächsten Jahr in vielen Ländern zu einer Rezession führen wird. Dies sollte bei Anlageentscheidungen in diesen Regionen unbedingt berücksichtigt werden.

In den Industrieländern ist die Geldpolitik dagegen bislang immer noch sehr expansiv

Die US-Notenbank hat jedoch bereits die Zinswende eingeläutet und deutlich gemacht, dass der Leitzins in diesem Jahr kräftig angehoben wird. Es wird erwartet, dass die Fed Funds Rate am Jahresende bei knapp drei Prozent liegt und bis zum Sommer 2023 bis auf 3,5 Prozent angehoben wird.

Zudem wird die Fed schon auf der nächsten Sitzung Maßnahmen beschließen, um ihr großes Anleiheportfolio zu reduzieren. Ab Mai werden fällige Wertpapiere nicht mehr in vollem Umfang ersetzt. Ziel ist es, die Bestände an US-Staatsanleihen sukzessive um 60 Milliarden US-Dollar und die Mortgage Backed Securities um 35 Milliarden US-Dollar pro Monat zu reduzieren. Der Bilanzabbau wird damit schneller erfolgen als es beim letzten „Quantitative Tightening“ zwischen 2017 und 2019 der Fall war; damals wurden Wertpapiere im Volumen von rund 50 Milliarden US-Dollar pro Monat von der Bilanz genommen.

Kann US-Notenbank mit ihrer Zinspolitik die Wirtschaft aufleben lassen?

Die große Frage wird sein, ob es der US-Notenbank mit ihrer Zinspolitik gelingen wird, eine „sanfte Landung“ der Wirtschaft zu bewirken. Die Rahmenbedingungen hierfür haben sich mit dem barbarischen russischen Angriff auf die Ukraine verschlechtert, da dieser einen stagflationären Angebotsschock mit höheren Inflations- und geringeren Wachstumsraten ausgelöst hat.

Somit könnte die Notenbank gezwungen sein, die Zinsen stärker zu erhöhen als derzeit erwartet wird, um die Inflationsrate wieder unter Kontrolle zu bringen – und dies bei gleichzeitig schlechteren Wachstumsaussichten. Für die Geldpolitik gleicht dies einem Ritt auf der Rasierklinge, weil eine Rezession als Folge höherer Zinsen nicht mehr völlig ausgeschlossen werden kann.

Für die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank gelten dieselben Rahmenbedingungen wie in den USA, allerdings sind die zu erwartenden negativen wirtschaftlichen Auswirkungen des Russland-Ukraine-Krieges größer als in den USA. Dies ist ein Grund für das Zögern der EZB, die sich im Schneckentempo auf eine Zinserhöhung zubewegt.

Schließlich nimmt sie auch noch Rücksicht auf die hohe Staatsverschuldung in vielen europäischen Ländern, die zukünftig aufgrund höherer Militärausgaben und einer schnelleren Fokussierung auf erneuerbare Energien noch stärker zunehmen könnte. Die Beendigung der Anleihekaufprogramme, die eine notwendige Voraussetzung für eine Zinserhöhung ist, wird erst im 3. Quartal abgeschlossen sein, erst danach könnte es – wohl in Q4 – zu einer sporadischen Zinserhöhung kommen.

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Autor: Carsten Klude

Carsten Klude studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank VWL mit Schwerpunkt Ökonometrie in Kiel. 1996 kam er zu M.M.Warburg & CO, für die er zunächst die europäischen Kapitalmärkte analysierte und später mit der Leitung des Makro-Research betraut wurde. Seit dem Jahr 2009 ist Herr Klude Mitglied im Investmentrat von M.M.Warburg & CO und verantwortet seit dem Sommer 2013 das Asset Management der Bank. Zusätzlich ist Herr Klude seit dem Jahr 2010 Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bundesverbandes deutscher Banken e.V., dessen Vorsitz er von 2015 bis 2018 inne hatte.

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