Die Welt im Umbruch: Was bedeutet das für den Kapitalmarkt?

Die aktuellen Entwicklungen in vielen Ländern der Welt sind nichts für schwache Nerven. In einer großen Zahl westlicher Demokratien sind populistische, teils sogar extremistische Parteien auf dem Vormarsch. Es hat ein wenig den Eindruck, als wenn viele Demokratien gerade eine veritable Krise durchleben.

Das gilt nicht nur für die USA – auch die Wahlen in Frankreich zeigen, dass eine Regierungsbildung mit Politikern aus der politischen Mitte immer schwieriger zu werden scheint.

Schwere Zeiten für die NATO

Selbst die NATO als westliches Verteidigungsbündnis durchlebt schwere Zeiten. Zwar wurde gerade erst mit viel Glanz und Gloria das 75jährige NATO-Jubiläum gefeiert; das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Verteidigungsfähigkeit dieses Bündnisses ernsthaft in Frage zu stellen ist.

Gleichzeitig entwickelt sich die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit immer mehr zum autokratischen Gegenstück zur westlichen Welt.

China als Kernland der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit hat sich in den letzten Jahren geopolitisch komplett neu orientiert. Die Zeit der Kooperation und des uneingeschränkten Handels scheint vorbei zu sein.

Unabhängiges China

China richtet sich zunehmend nach der Devise aus, von der Welt unabhängig sein zu können, die Welt aber von sich abhängig zu machen. Für Unternehmen, die einen großen Teil ihres Umsatzes und Gewinns in China erzielen, sind das keine guten Nachrichten. Es steht zu befürchten, dass diese Erkenntnis bei vielen Unternehmen sogar noch gar nicht richtig angekommen ist – so wie auch die Tatsache, dass China mit Großprojekten chinesischer Big-Tech-Unternehmen die digitale Infrastruktur des globalen Südens gerade zu einem gewissen Grad neu erfindet und damit technische Standards, Geschäftsbeziehungen und insbesondere Abhängigkeiten etabliert, von denen China (und eben nicht die westliche Welt) in den kommenden Jahrzehnten dramatisch profitieren wird.

Reaktion der Kapitalmärkte

Es wäre verwunderlich, wenn diese tektonischen Verschiebungen mehr oder weniger geräuschlos an den Kapitalmärkten vorbeiziehen würden. Vordergründig ließe sich vermuten, dass die erhöhten geopolitischen Anspannungen, der Krieg in der Ukraine, die steigende Staatsverschuldung in sehr vielen Ländern, die Krise demokratischer Strukturen und vergleichsweise hohe Energiepreise eine Belastung für Kapitalmärkte sein müssten.

Auf den ersten Blick ist das jedoch nicht der Fall – diverse Aktienindizes bewegen sich in der Nähe historischer Höchststände.

Das verwundert umso mehr, als dass die überraschend positive Entwicklung an den Aktienmärkten seit Ende 2022 mit einer schleppenden konjunkturellen Entwicklung und steigenden Zinsen einherging. Hier passt nicht mehr viel zusammen, wenn man mit klassischen Denkmustern arbeitet. Ist der Markt so abgebrüht, dass er schlechte Nachrichten nicht mehr sinnvoll verarbeiten kann?

Oder will uns die Wertentwicklung eine ganz andere Geschichte erzählen? 

Um diesem Rätsel auf die Spur zu kommen, ist es zielführend, sich die Wertentwicklung von westlichen Aktienmärkten seit Beginn des Ukraine-Krieges am 24.2.2022 genauer vor Augen zu führen. Schließlich dürfte der Beginn des Krieges als Wendepunkt gesehen werden, auch wenn natürlich de facto Entwicklungen immer graduell verlaufen und es nie den einen Kipppunkt gibt, ab dem alles anders funktioniert.

Da man aber für eine solche Analyse ein Startdatum benötigt, scheint der Beginn des Krieges nicht ganz unplausibel gewählt zu sein.

Seit Beginn des Krieges ist ein Aktienportfolio (bestehend aus 50% S&P 500 und 50% Stoxx 600) um 31% angestiegen.

Die Aktien in den beiden Indizes hatten im Median in diesem Zeitraum aber nur eine Wertentwicklung von 15%. Das ist ein Hinweis darauf, dass die Marktbreite eingeschränkt ist.

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Aktien mit der besten Performance seit Beginn des Ukraine-Krieges (USA und Europa)

Technologie, Pharma & Verteidigung sind die Branchen mit der besten Wertentwicklung

Wie sich zeigt, finden sich in der obigen Zusammenstellung der Aktien mit der besten Wertentwicklung seit Beginn des Krieges vor allem Aktien aus den Bereichen Technologie, Pharma, Verteidigung (inkl. Luft- und Raumfahrt), sowie einige Dienstleistungen. Bei den Top-Performern findet man dagegen so gut wie keinen Wert, der einen konjunktursensitiven Bezug hat. Auch eine Sektorauswertung mit einer sehr granularen und daher sehr treffgenauen Betrachtung der Sektoren (146 verschiedene Sektoren) zeigt auf, dass unter den gut performenden Sektoren seit Kriegsbeginn fast keine Sektoren mit einem zyklischen Bezug zu finden sind.

Kapitalmarkt im Wandel: Fokus auf langfristige Megatrends

Diese Entwicklung dürfte auch erklären, warum zuletzt klassische rein konjunkturdatengestützte Ansätze suboptimale Ergebnisse gebracht haben, wenn man nach ihnen eine Selektion und auch eine taktische Steuerung vorgenommen hätte. Es sieht ein wenig so aus, als wenn der Markt in einen anderen Modus übergegangen wäre und damit in gewisser Weise einen Regimewechsel vorgenommen hat.

Der Kapitalmarkt scheint damit u.U. eine neue Welt zu antizipieren.

In dieser Welt geraten vor allem Unternehmen in den Fokus, die auf eine sehr lange Sicht von Megatrends profitieren sollten und die weitgehend losgelöst von kurzfristigen Verwerfungen sind. Hier spielen Bewertungen und auch kurzfristige Schwankungen der Auslastungsgrades von Volkswirtschaften nur noch eine untergeordnete Rolle.

Gewinner trotz Krisen: Fokus auf widerstandsfähige Sektoren

Viel wichtiger wird dagegen die Frage, was ein Unternehmen trotz (!) all dieser multiplen Krisen an Umsätzen und Gewinnen erzielen kann. Und da überrascht es eben nicht, dass Unternehmen aus den Sektoren Technologie und Software (Stichwort KI), Pharma (Stichwort Fettleibigkeit), Verteidigung und Luftfahrt/Raumfahrt (Stichwort geopolitische Anspannungen) oder Stromproduktion / Stromnetztechnik (Stichwort steigende Nachfrage nach Strom durch Elektromobilität, Wärmepumpen, Wasserstoff etc.) weit vorne liegen.

Das sind genau die Bereiche, die von innenpolitischen, geopolitischen, konjunkturellen oder auch geldpolitischen Verwerfungen entweder kaum betroffen sind oder aber sogar davon profitieren.

So gesehen war die Entwicklung der Aktienmärkte in den letzten Jahren, die von vielen Beobachtern oftmals als etwas irrational eingestuft wurde, möglicherweise gar nicht so irrational wie vermutet.

Was lässt sich daraus ableiten?

Wenn man die Arbeitshypothese vertritt, dass sich der (geo-) politische Trend der letzten beiden Jahre noch viele Jahre fortsetzen wird, dann dürften auch Märkte weiter so funktionieren wie zuletzt zu beobachten. Natürlich wird es dabei immer neue Favoriten auf Einzeltitelebene geben – sektoral spricht aber recht viel dafür, dass die sektoralen Favoriten von heute auch die Favoriten von morgen sein werden.           

Foto von Pablo Bugani auf Unsplash

Christian Jasperneite

Autor: Dr. Christian Jasperneite

Dr. Christian Jasperneite studierte an der Universität Passau VWL und promovierte anschließend an der Universität Passau am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard University begann er im Jahr 2000 als Analyst im Makro-Research von M.M.Warburg & CO. Seit Anfang 2009 ist Dr. Jasperneite Chief Investment Officer bei M.M.Warburg & CO und verantwortet dort u.a. Fragen der strategischen und taktischen Allokation sowie der Portfoliokonstruktion und der Produktentwicklung.

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