Covid-19 und Zinssenkungen: Notenbanken als Notärzte?
9. März 2020Wie in der vergangenen Woche bereits erläutert, lassen sich die wirtschaftlichen Auswirkungen, die von den Eindämmungsmaßnahmen, Produktionsausfällen, damit verbundenen Unterbrechungen der Lieferketten sowie den möglichen negativen Vertrauenseffekten bei Unternehmen und Privathaushalten bislang nur grob bemessen. Der starke Einbruch der Einkaufsmanagerindizes in China könnte aber einen Vorgeschmack auf das geben, was auch in anderen Ländern zu erwarten ist.
Konjunktur- und Kapitalmarktprognosen auf dem Prüfstand
Während die Zahl der mit dem Coronavirus neu infizierten Personen in China in den vergangenen 14 Tagen deutlich zurückgegangen ist, ist außerhalb Chinas ein kräftiger Anstieg zu verzeichnen. Mittlerweile sind mehr als 93.000 Menschen an dem Virus erkrankt, davon knapp 13.000 außerhalb Chinas. Besonders betroffen sind Südkorea mit gut 5.300 Fällen sowie Italien mit 2.500 und der Iran mit mehr als 2.300 Erkrankten (Stand 4. März 2020). In China sind fast 3.000 Menschen an SARS-CoV-2 gestorben, im Rest der Welt mehr als 200.
Die meisten Frühindikatoren zeigen sich im Moment noch stabil, nur in Ländern, die regional und wirtschaftlich sehr eng mit China verbunden sind, zeigen sich ebenfalls schon erste Bremsspuren.
Das gilt beispielsweise für Hongkong, Taiwan, Japan, Südkorea und Thailand. Aus diesem Grund haben wir unsere Konjunktur- und Kapitalmarktprognosen auf den Prüfstand gestellt und zu großen Teilen gesenkt. Für die Weltwirtschaft erwarten wir nur noch eine Wachstumsrate von 2,3 Prozent (bisher 3,2 Prozent), vor allem, weil wir eine signifikanten Wachstumsverlangsamung in China erwarten. Aber auch für die USA (1,5 nach 1,8 Prozent), Deutschland (0,7 nach 1,1 Prozent) und die Eurozone (0,6 nach 1,1 Prozent) haben wir unsere Erwartungen nach unten angepasst. Die neuen Einschätzungen können aber nur als grobe Richtschnur dienen, da bislang noch zu wenige konkrete Informationen vorliegen. Erst in den nächsten Wochen wird sich mit der Veröffentlichung neuer Konjunkturdaten das Ausmaß der ökonomischen Veränderungen genauer abschätzen lassen.
Zinssenkungen sollen Finanzkrise durch Coronavirus verhindern
Auch wenn die wirtschaftlichen Konsequenzen der Coronakrise erst zu erahnen sind, haben einige Notenbanken nicht lange gefackelt und in dieser Woche die Zinsen gesenkt. Allen voran die US Federal Reserve, die auf einer außerplanmäßigen Sitzung am Dienstag beschloss, den US-Leitzins gleich um 50 Basispunkte zu reduzieren. Ihr gleich taten es die Zentralbanken aus Australien und Malaysia (je 25 Basispunkte) sowie aus Kanada und Hongkong (je 50 Basispunkte). Von 42 Notenbanken, deren Aktivitäten wir verfolgen, haben in diesem Jahr bereits 13 die Zinsen gesenkt. Und weitere werden folgen. Schon am nächsten Donnerstag (12. März) dürfte auch die Europäische Zentralbank weitere geldpolitische Lockerungsmaßnahmen beschließen. Wir halten eine erneute Reduzierung des Einlagenzinssatzes von -0,50 auf -0,60 Prozent für wahrscheinlich, begleitet von einer Verdoppelung des Anleiheaufkaufprogramms von 20 auf 40 Milliarden Euro monatlich.
Der Fokus dürfte in erster Linie auf Unternehmensanleihen gerichtet werden, um bei diesen einen möglichen Renditeanstieg zu begrenzen oder zu verhindern.
Auch die Bank of England dürfte spätestens auf ihrer nächsten regulären Sitzung am 26. März eine Zinssenkung um 25 Basispunkte beschließen.
Eine expansivere Geldpolitik ist geeignet, um Liquiditäts- und Nachfrageprobleme in einer Volkswirtschaft zu adressieren. Billigeres Zentralbankgeld kann dafür sorgen, dass Unternehmen auch in schlechten Zeiten Kredite bekommen und in der Lage sind, ihr Geschäft aufrechtzuerhalten und ihre Angestellten zu bezahlen.
Zinssenkungen können von daher das Vertrauen von Unternehmen und Konsumenten positiv beeinflussen, sodass weiterhin konsumiert und investiert wird.
Niedrigere Zinsen führen vor allem in den USA dazu, dass Privathaushalte ihre bestehenden Hypothekenkredite refinanzieren, sodass ihre monatlichen Belastungen sinken und dieses Geld für andere Dinge ausgegeben werden kann. Und letztendlich sorgt eine expansivere Geldpolitik häufig für steigende Aktien- und Anleihenkurse, sodass Marktverwerfungen begrenzt werden, sich die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen verbessern und ein positiver Vermögenseffekt die wirtschaftliche Entwicklung begünstigt.
Niedrigzinsen sind jedoch kein ultimatives Heilmittel
Allerdings kann die Geldpolitik nicht dafür sorgen, dass die Ausbreitung des Coronavirus gestoppt wird, unterbrochene Lieferketten repariert werden oder die Menschen wieder in Kino oder in Restaurants gehen, wenn sie Angst davor haben, sich anzustecken und zu erkranken. Deswegen müssen die geldpolitischen durch fiskalpolitische Maßnahmen ergänzt werden. Hinzu kommt, dass der geldpolitische Spielraum fast aller Notenbanken viel geringer ist als das bei früheren Krisen der Fall gewesen ist. Die US-Notenbank hat beispielsweise während der Finanzkrise 2008/2009 den Leitzins um 500 Basispunkte gesenkt, die EZB um 400 Basispunkte. Dieses Mal kann die Federal Reserve die Zinsen um maximal 175 Basispunkte senken, bevor sie die Nulllinie erreicht. Für die EZB und die japanische Notenbank gibt es hingegen so gut wie überhaupt keinen geldpolitischen Spielraum, da ihre Leitzinsen schon bei null liegen.
Da sich das Coronavirus sowohl in den USA als auch in den meisten Ländern zunächst weiter ausbreiten wird, halten wir es für sehr wahrscheinlich, dass die US-Notenbank die Zinsen weiter senkt. Seit 1998 hat die Fed sechsmal die Zinsen überraschend gesenkt, und jedes Mal folgte darauf hin beim nächsten regulären Treffen eine erneute Zinssenkung. Schon auf den kommenden beiden Sitzungen am 18. März und am 29. April sollten von daher weitere Zinsschritte – voraussichtlich um jeweils 25 Basispunkte – beschlossen werden.
Corona-Panik: nicht mehr als eine kleine Delle im Konjunkturzyklus?
Je nachdem, wie stark der wirtschaftliche Abschwung in den USA ausfallen wird, ist es denkbar, dass auch die Fed schon in diesem Jahr ihren Leitzins, die Fed Funds Target Rate, bis auf null senkt. Dies dürfte dazu führen, dass die Rendite 10-jähriger US-Treasuries, die in dieser Woche bereits einen historischen Tiefstand von 0,92 Prozent erreicht hat, noch weiter sinkt. Auch 10-jährige Bundesanleihen werden wohl ihr bisheriges Rekordtief von -0,72 Prozent noch unterbieten. Anleger sollten von daher ihre hohe Duration in ihren Portfolios noch beibehalten.
Die Aktienmärkte haben auf die außerplanmäßige Zinssenkung in den USA mit hoher Volatilität reagiert.
Stark steigende Kurse wechselten sich mit deutlichen Verlusten ab, ohne dass bisher ein klarer Trend erkennbar ist. Dies passt zu den historischen Daten, die zeigen, dass der S&P 500 und der DAX in der Woche nach der außerplanmäßigen Zinssenkung mal ein kleines Plus, mal ein kleines Minus aufwiesen. Auch auf drei, sechs und 12 Monatssicht ergibt sich kein klares Bild: Während die Kurse nach der Zinssenkung aufgrund der Hedgefondspleite von LTCM im Jahr 1998 deutlich zulegten, überwogen bei den fünf verschiedenen Lockerungsmaßnahmen in den Jahren 2001 und 2008 die negativen Vorzeichen.
Dies lag daran, dass die US-Notenbank trotz ihres schnellen und beherzten Eingreifens eine Rezession nicht verhindern konnte. Wer als Anleger davon überzeugt ist, dass das Coronavirus nicht mehr als eine kleine Delle im Konjunkturzyklus verursacht, kann die günstigeren Kurse nutzen, um die Aktienquote zu erhöhen. Wer wie wir eher zur Vorsicht neigt, wartet noch ab, um gegebenenfalls in beide Richtungen reagieren zu können.
Autor: Carsten Klude
Carsten Klude studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank VWL mit Schwerpunkt Ökonometrie in Kiel. 1996 kam er zu M.M.Warburg & CO, für die er zunächst die europäischen Kapitalmärkte analysierte und später mit der Leitung des Makro-Research betraut wurde. Seit dem Jahr 2009 ist Herr Klude Mitglied im Investmentrat von M.M.Warburg & CO und verantwortet seit dem Sommer 2013 das Asset Management der Bank. Zusätzlich ist Herr Klude seit dem Jahr 2010 Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bundesverbandes deutscher Banken e.V., dessen Vorsitz er von 2015 bis 2018 inne hatte.
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