Coronavirus: Lässt sich die Wirtschaft noch retten?

Mit dem Ausbruch des Coronavirus haben Staaten und Notenbanken das Zepter des wirtschaftlichen Handelns übernommen. Denn mit dem staatlich verordneten Shutdown ist nicht nur das gesellschaftliche, sondern auch das wirtschaftliche Leben zum Erliegen gekommen. Private Haushalte und Unternehmen, die normalerweise die Motoren der Wirtschaft sind, befinden sich im Winterschlaf.

Weltweit schwache Wirtschaft

In den USA ist die reale Wirtschaftsleistung im ersten Quartal 2020 mit einer auf das Gesamtjahr hochgerechneten Rate von 4,8 Prozent zurückgegangen – und das, obwohl es noch bis Mitte März so gut wie keine Einschränkungen gab. Stärkere konjunkturelle Einbrüche gab es davor nur während der Finanz- und Wirtschaftskrise (-8,4 Prozent in Q4 2008) sowie in sechs weiteren Quartalen, wenn man bis in das Jahr 1950 zurückschaut.

Der Blick auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung offenbart sogar ein noch schwächeres Bild.

Sowohl der private Verbrauch (-7,6 Prozent gegenüber dem Vorquartal), als auch die Investitionen der Unternehmen (-8,6 Prozent) sind noch stärker gesunken als das reale BIP. Positive Impulse kamen dagegen von den Bauinvestitionen (+21 Prozent), die von starken Zuwächsen im Januar und Februar profitierten. Auch die Nettoexporte trugen positiv zur Wirtschaftsentwicklung bei, da die Exporte (-8,7 Prozent) weniger zurückgingen als die Importe (-15,3 Prozent). Der Staatsverbrauch nahm um 0,7 Prozent zu und stütze damit ebenfalls das Wachstum. Die wirtschaftlichen Horrormeldungen der letzten Tage deuten aber darauf hin, dass das zweite Quartal noch wesentlich schlimmer werden wird.

Die US-Wirtschaft schrumpft.

Der von der New Yorker Fed berechnete wöchentliche Konjunkturindex legt nahe, dass die US-Wirtschaft im April mit einer annualisierten Rate von 40 bis 50 Prozent geschrumpft ist. Geht man davon aus, dass es ab Mai zu einem graduellen Hochfahren der Wirtschaft kommt, könnte das reale BIP im zweiten Quartal zwischen 30 und 40 Prozent unter dem Niveau des Vorquartals liegen.

In der Eurozone sieht es nicht besser aus.

So ist die reale Wertschöpfung im ersten Quartal 2020 um 3,8 Prozent gesunken, was einer auf das Gesamtjahr hochgerechneten Rate von rund -15 Prozent entspricht. Allerdings könnte die tatsächliche Entwicklung sogar noch schlechter ausfallen, denn Spanien und Frankreich berichteten einen Rückgang von 5,2 bzw. 5,8 Prozent. In Italien ist das reale BIP um 4,7 Prozent gesunken, wobei diese Zahl angesichts der im Vergleich zu Frankreich und Spanien sehr frühen und sehr umfangreichen Eindämmungsmaßnahmen noch nach unten revidiert werden könnte. Auch in anderen europäischen Ländern, die stark vom Tourismus abhängig sind, werden die Daten ähnlich niederschmetternd ausfallen. Die deutsche Wirtschaft dürfte sich hingegen mit einem erwarteten Minus von etwa 2,5 Prozent etwas besser geschlagen haben. Doch auch in der Eurozone ist für das zweite Quartal von einem noch wesentlich heftigeren wirtschaftlichen Einbruch auszugehen.

Die Folgen eines derartigen wirtschaftlichen Einbruchs liegen auf der Hand:

Unternehmen gehen pleite, die Arbeitslosigkeit nimmt zu. Weniger Investitionen und weniger Konsum setzen eine wirtschaftliche Abwärtsspirale in Gang, bis ein neues gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht gefunden ist. Um die Folgen der drohenden wirtschaftlichen Depression zu dämpfen, treten Staaten und Notenbanken mit gigantischen Hilfsprogrammen auf den Plan. Geld- und Fiskalpolitik spannen ein Netz auf, um das System zu retten. Der Preis, der dafür zu zahlen ist, ist eine deutlich ansteigende Staatsverschuldung. Massiv steigende Staatsausgaben auf der einen Seite stehen wegbrechende Steuereinnahmen auf der anderen Seite gegenüber, sodass die fiskalischen Risiken deutlich zunehmen. Schätzungen des Internationalen Währungsfonds zufolge ist in diesem Jahr mit einer globalen Nettoneuverschuldung von fast 10 Prozent der globalen Wertschöpfung zu rechnen.

Das entspricht einem Wert von etwa 14 Billionen US-Dollar an neuen Schulden oder dem gut dreifachen Wert der gesamten deutschen Wirtschaftsleistung des vergangenen Jahres.

Die globale staatliche Schuldenquote würde von 83,3 auf 96,4 Prozent ansteigen. Allerdings beruhen diese Prognosen nur auf den bis Anfang April beschlossenen staatlichen Hilfsmaßnahmen. Wie in der Vergangenheit dürfte sich im Laufe des Jahres herausstellen, dass noch weitere Fiskalpakete notwendig werden.

Muss man sich angesichts der Entwicklung der Staatsverschuldung Sorgen machen?

Droht vielleicht schon bald eine neue Schuldenkrise? Die meisten Volkswirte und fast alle Kapitalmarktteilnehmer bleiben trotz dieser augenscheinlichen Fehlentwicklungen gelassen. Schließlich haben fast alle globalen Notenbanken in den vergangenen Tagen versichert, alles dafür zu tun, um die wirtschaftlichen Schäden der Covid19-Pandemie zu begrenzen. Dies geschieht, in dem in kürzester Zeit eine gewaltige Summe an neuem Geld gedruckt wird, mit denen die Notenbanken Staats- und Unternehmensanleihen und zum Teil (wie in Japan oder in der Schweiz) sogar Aktien kaufen. Somit gibt es am Kapitalmarkt einen Akteur mit sehr tiefen Taschen, dem die fundamentalen Rahmendaten oder die am Markt zu bezahlenden Preise für Vermögenswerte mehr oder weniger egal sind.

Von daher wird an der Börse im Moment getreu dem Motto „bad news are good news and good news are great news“ verfahren.

In der Tat beunruhigt der zumindest zeitweise Übergang vom Kapitalismus bzw. der sozialen Marktwirtschaft hin zur Staatswirtschaft kaum jemanden. Geld- und Fiskalpolitik scheinen ein allmächtiges Gespann zu sein, mit dem man jeder Krise Herr werden kann.

Quelle: Internationaler Währungsfonds

Was bedeutet das für die US-Zentralbank?

Die Folge dieser Politik ist ein enormes Aufblähen der Notenbankbilanzen. Nachdem die US-Zentralbank am 23. März erklärte, Staatsanleihen und andere forderungsbesicherte Wertpapiere ohne quantitative Begrenzung anzukaufen und sie ihr geldpolitisches Arsenal in der Folgezeit kräftig ausgeweitet hat, ist ihre Bilanzsumme innerhalb von nur sechs Wochen um 50 Prozent angestiegen – von 4,2 auf 6,5 Billionen US-Dollar. Gemessen am US-BIP entspricht dies einem Anteil von 30 Prozent.

Das Tempo der derzeitigen Wertpapierkäufe stellt alle bisher dagewesenen QE-Programme weit in den Schatten.

Es ist davon auszugehen, dass sich die Bilanzsumme nochmals verdoppeln könnte, ehe die Krise abklingt und die Notenbank ihre Käufe einstellt.

Aber nicht nur die Fed, auch die EZB hat das Volumen ihrer Wertpapierkäufe seit dem Beginn der Corona-Krise drastisch ausgeweitet. Nachdem Mario Draghi im September 2019 als letzte Amtshandlung die Wiederaufnahme des Asset Purchase Programs ankündigte, hat die Europäische Zentralbank seit letztem November jeden Monat Vermögensgegenstände im Umfang von rund 20 Milliarden Euro pro Monat gekauft. Nach der ersten erneuten Lockerung wurde das Volumen im März auf gut 50 Milliarden Euro erhöht. Nachdem dann im März das sogenannten PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme) aufgelegt wurde, hat die EZB im Rahmen dieses Programms im April fast 35 Milliarden Euro an Anleihen gekauft – und das jede Woche (mit Ausnahme der verkürzten Osterwoche)!

Und was bedeutet das für die EZB?

Geht man davon aus, dass in der letzten April-Woche erneut 35 Milliarden Euro aufgewendet wurden, hätte sich das monatliche Volumen auf knapp 160 Milliarden Euro erhöht, wovon 120 Milliarden auf das PEPP entfallen. Das Gesamtvolumen dieses Programms soll zunächst 750 Milliarden Euro betragen, es kann aber bei Bedarf aufgestockt werden.

Behält die Notenbank ihr bisheriges Tempo in den nächsten Monaten bei, wäre das Volumen schon im September aufgebraucht.

Von daher gehen wir davon aus, dass die EZB auf ihrer nächsten Sitzung am 4. Juni eine deutliche Erhöhung, vielleicht sogar eine Verdopplung des Volumens, ankündigen wird.

Was für Probleme bringt die Staatsverschuldung?

Der unbegrenzte Kauf von Staatsanleihen bzw. von Staatsschulden durch die Notenbanken sorgt dafür, dass die hoch verschuldeten Staaten immer einen Abnehmer für ihre Anleihen finden, und dazu einen, der sich mit äußerst geringen Zinsen zufrieden gibt. Von einem „Markt“ im eigentlichen Sinne kann beim Anleihenmarkt somit gar nicht mehr gesprochen werden, da die Nachfrage nach Staatspapieren künstlich hoch gehalten wird. Allerdings sind die Staatsschulden damit nicht verschwunden, und sie müssen auch weiterhin bedient werden.

Eingeschränkte Handlungsfähigkeit der Staaten

Das bedeutet, dass die Handlungsfähigkeit der Staaten aufgrund der höheren Schulden weiter eingeschränkt werden kann, nämlich wenn der Effekt der höheren Schulden den der niedrigen Zinsen übersteigt.

Das dürfte beispielsweise bei Italien der Fall sein.

Die Staatsverschuldung wird von gut 2,4 Billionen Euro im vergangenen Jahr auf etwa 2,5 Billionen Euro in diesem Jahr ansteigen. Während Italien im vergangenen Jahr knapp 60 Milliarden Euro an Zinsen bezahlen musste, wird die Zinslast in diesem Jahr unseren Berechnungen nach auf etwa 65 Milliarden Euro ansteigen. Da gleichzeitig die Staatseinnahmen einbrechen und die Ausgaben aufgrund höherer Aufwendungen für Krankenhäuser und den Sozialstaat ansteigen, wird es wesentlich weniger Spielraum für andere Positionen im Staatshaushalt geben – wenn diese nicht über noch mehr Schulden finanziert werden.

Gefahr einer Staatsschuldenkrise?

Von daher halten wir die Gefahr einer neuen Staatsschuldenkrise nicht für gebannt, auch wenn die Finanzierung der Schulden derzeit kein Problem darstellt. Käme es zu einer neuen Krise, könnten von der EZB noch drastischere Maßnahmen erwogen werden, indem beispielsweise explizite Zinsobergrenzen für Staatsanleihen aus der Eurozone vorgegeben werden. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen wird es besonders spannend sein, wie sich das Bundesverfassungsgericht am kommenden Dienstag ab 10 Uhr zum Anleihenkaufprogramm der EZB äußern wird.

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Autor: Carsten Klude

Carsten Klude studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank VWL mit Schwerpunkt Ökonometrie in Kiel. 1996 kam er zu M.M.Warburg & CO, für die er zunächst die europäischen Kapitalmärkte analysierte und später mit der Leitung des Makro-Research betraut wurde. Seit dem Jahr 2009 ist Herr Klude Mitglied im Investmentrat von M.M.Warburg & CO und verantwortet seit dem Sommer 2013 das Asset Management der Bank. Zusätzlich ist Herr Klude seit dem Jahr 2010 Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bundesverbandes deutscher Banken e.V., dessen Vorsitz er von 2015 bis 2018 inne hatte.

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