Brexit, Gelbwesten und Rezessionsangst: Gründe dem Kapitalmarkt den Rücken zuzukehren?
25. Januar 2019Frankreich, USA, Italien und die Brexit-Debatte: Die politischen Entwicklungen verlaufen turbulent. Warum wir dennoch glauben, dass für Investoren der Zeitpunkt gekommen ist, sich für die kommenden Jahre zu positionieren, erfahren Sie von Dr. Christian Jasperneite.
Man stelle sich folgendes vor: Die CDU/CSU lässt in Deutschland ein Referendum darüber abhalten, ob Deutschland aus der EU austreten möchte. Die Befürworter eines Dexits gewinnen knapp das Referendum. Die dann folgenden Verhandlungen mit Brüssel werden so dilettantisch geführt, dass sie teilweise einem zweitklassigen Schmierentheater gleichen. Am Ende wird aber doch in nahezu letzter Sekunde ein Verhandlungsergebnis erzielt, das unter den gegebenen Voraussetzungen für alle Parteien als noch hinreichend akzeptabel eingeschätzt werden kann. Dieser Vertragsentwurf wird im Bundestag zur Abstimmung gestellt. Nur etwa zwei Drittel der CDU/CSU-Abgeordneten stimmen diesem Vertrag zu, und fast alle anderen Abgeordneten (auch die aller anderen Parteien) stimmen dagegen. Aber nicht, weil sie lieber in der EU bleiben möchten, sondern weil ihnen die Zugeständnisse der EU hinsichtlich der Modalitäten nicht ausreichen. In der Folge dieser Ablehnung ist dann alles möglich: Ein neues Referendum, eine veritable Verfassungskrise, eine Verlängerung der Verhandlungsfrist mit der EU, ein unfreiwilliges Verbleiben in der EU angesichts ungeklärter juristischer Fragen oder (der wahrscheinlichste Fall) ein komplettes Chaos. Das klingt verrückt, aber genau das ist gerade in Großbritannien passiert und wirft – gelinde gesagt – kein gutes Licht auf die Qualität der britischen Politik.
USA: Haushaltssperre verhindert Beschäftigung
Allerdings ist es um die Qualität der Politik in vielen anderen Ländern nicht viel besser bestellt. In den USA wird zum ersten Mal seit 99 Monaten die Beschäftigung im Monatsvergleich sinken. Und zwar nicht, weil die Wirtschaft schwächelt, sondern da ein nicht unerheblicher Teil der Staatsbediensteten angesichts der Haushaltssperre nicht mehr arbeiten kann. Dabei wäre die Haushaltssperre dank sprudelnder Steuereinnahmen gar nicht notwendig, sondern sie ist eher Teil einer inszenierten Erpressung der Demokraten durch Trump, um den Bau einer Mauer an der mexikanischen Grenze zu erzwingen. Von erwachsenen Menschen würde man eigentlich ein vernünftigeres Verhalten erwarten können.
Frankreich: Wie geht es weiter, Präsident Macron?
Das gilt auch für das Verhalten der Gelbwesten in Frankreich, die im Land eine schon fast revolutionäre Stimmung aufkommen lassen. Mit ihrem Verhalten lassen sie zudem erkennen, dass sie von demokratischen Spielregeln nicht allzu viel halten – aber genau das ist ja das Merkmal revolutionärer Bewegungen. Da kann einem der französische Präsident schon fast leidtun, auch wenn er selbst einen wesentlichen Beitrag geleistet hat, das etablierte französische Parteiensystem nachhaltig zu schädigen, ohne ähnlich belastbare neue Strukturen zu schaffen. Schließlich bestand auch seine Bewegung „en marche“ weitgehend aus politischen Anfängern, von denen nach anfänglicher Euphorie inzwischen wieder viele ihr politisches Engagement reduziert oder eingestellt haben. Das zuletzt hilflose Herumrudern von Präsident Macron lässt zudem nicht erkennen, dass es schon ein belastbares Konzept dafür gibt, wie man mit dieser Situation umzugehen gedenkt.
Italien: Konjunkturdaten verschlechtern sich täglich
Dagegen erscheinen die Haushaltsprobleme der italienischen Regierung schon fast „putzig“, zumal man sich an die gelegentlichen Frechheiten und Ausfälle der römischen Regierung langsam gewöhnt hat und sie dementsprechend nicht mehr zu ernst nehmen muss. Und als wenn das alles noch nicht genug wäre, verschlechtern sich zu allem Überfluss von Tag zu Tag auch noch die Konjunkturdaten.
Konjunkturzyklusmodell von M.M.Warburg: Es geht abwärts
Das von Warburg im Jahr 2002 entwickelte und seitdem im Einsatz befindliche Konjunkturzyklusmodell befindet sich in der Nähe von 20 Prozent – bei einer Skala, die von null Prozent bis 100 Prozent reicht. Die daraus abzuleitende Nachricht ist relativ eindeutig. Auch wenn man die Aussagekraft derartiger Modelle immer ein wenig relativieren und interpretieren muss, so führt doch kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass sich die Welt derzeit in einem konjunkturellen Abschwung befindet. Diese Einschätzung gewinnt zusätzlich an Brisanz, da dieser Abschwung vergleichsweise homogen über Länder und Kontinente hinweg verläuft. In Europa haben sich viele Daten schon spürbar verschlechtert; das gilt aber auch für China und seit kürzerer Zeit auch für die USA.
Entwicklung: Steigen die Aktienkurse oder auch die Kurse bald wieder?
Viele Unternehmen belegen mit der aktuell eher eingetrübten Einschätzung ihrer Geschäftsentwicklung, dass unsere makroökonomische Sicht der Dinge so falsch nicht sein kann. Das bedeutet aber auch, dass die Dinge vermutlich noch ein wenig schlechter werden, bevor sie wieder besser werden. Denn ebenso wie sich die Länder und Regionen in den Jahren zuvor gegenseitig positiv befeuert haben, ist nun mit einer sich gegenseitig verstärkenden Abwärtsspirale zu rechnen. Der Beginn dieser Abwärtsspirale hinterlässt inzwischen auch schon Schleifspuren in den Gewinnschätzungen der Analysten.
Seit einigen Monaten werden die Gewinnschätzungen für die Jahre 2019 und 2020 graduell nach unten revidiert. Was zunächst eher wie „Datenrauschen“ aussah, entpuppt sich inzwischen zunehmend als echter Wendepunkt. Und die Erfahrung zeigt, dass derartige Wendepunkte durchaus eine Relevanz aufweisen. Wenn Gewinne erst einmal einer negativen Revisionsdynamik unterliegen, dauert es meistens mehr als sechs Monate, bevor sich die Lage wieder zum Besseren wendet. Dementsprechend ist – auch vor dem Hintergrund der extremen politischen Unsicherheiten – in der nächsten Zeit nicht damit zu rechnen, dass die Aktienkurse oder auch die Kurse von Unternehmensanleihen substanziell steigen. Auf der anderen Seite sind schon viele negative Nachrichten eingepreist.
Der Markt war in den letzten Monaten extrem effizient in der Eskomptierung graduell schlechter werdender Daten. Das zeigt auch der Blick auf die Wertentwicklung der Märkte und Assetklassen, die i.d.R. in hochdiversifizierten vermögensverwaltenden Multi-Asset-Portfolios zu finden sind. Nahezu alle diese Anlagen haben das letzte Jahr mit einem Minus beendet. Selten hat es in den letzten Jahrzehnten überhaupt so eine schlechte Marktkonstellation gegeben.
Doch was bedeutet das nun für aktuelle Investitionsentscheidungen?
Wir sehen in der geschilderten Entwicklung tatsächlich sogar eine Chance. Selbst wenn die politischen Entwicklungen weiter turbulent verlaufen und die Konjunktur- und Gewinndaten auch noch einige Monate oder Quartale Richtung Süden zeigen: Jetzt ist eigentlich für Investoren der Zeitpunkt gekommen, sich für die kommenden Jahre zu positionieren. Ähnlich wie im Einzelhandel gilt auch für die Börsen, dass der Großteil des Gewinns im Einkauf liegt. Und selbst nach der Lehman-Pleite und der damit einhergehenden scharfen Weltrezession dauerte es nur etwa sechs Monate, bis die Kurse ihren Boden gefunden hatten. Wer langfristig denkt, sollte sich von kurzfristigen Turbulenzen ohnehin nicht verrückt machen lassen, wie die Wertentwicklung von Märkten über längere Perioden eindrucksvoll zeigt. Und so raten wir zwar noch zur Vorsicht, ganz sicher aber nicht zur Panik – politische und wirtschaftliche Unsicherheiten hin oder her.
Bildcredit: b-fruchten / photocase.de
Autor: Dr. Christian Jasperneite
Dr. Christian Jasperneite studierte an der Universität Passau VWL und promovierte anschließend an der Universität Passau am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard University begann er im Jahr 2000 als Analyst im Makro-Research von M.M.Warburg & CO. Seit Anfang 2009 ist Dr. Jasperneite Chief Investment Officer bei M.M.Warburg & CO und verantwortet dort u.a. Fragen der strategischen und taktischen Allokation sowie der Portfoliokonstruktion und der Produktentwicklung.
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