Börsenturbulenzen? Keine Panik!

Die starken Kursverluste an den weltweiten Aktienmärkten sorgten am Montag für große Aufmerksamkeit. Keine Zeitung, keine Nachrichtensendung, in der die Turbulenzen an den Kapitalmärkten unkommentiert blieben. Schlagzeilen vom „Crash“ an den Börsen machten die Runde. Was war geschehen?

In Japan brach der Nikkei-Index um 12,4 Prozent ein, der größte Tagesverlust seit dem 20. Oktober 1987, dem Tag nach dem berüchtigten „Schwarzen Montag“ an der Wall Street. Auch an anderen asiatischen Börsen kam es zu massiven Kursverlusten, in Taiwan und Südkorea betrug das Minus acht bzw. neun Prozent. Europa und die USA kamen mit Kursverlusten von meist zwei bis drei Prozent glimpflicher davon, allerdings waren die Abschläge an den beiden Vortagen ähnlich hoch. Was sind die Ursachen für die Kursverluste und wie sind die weiteren Aussichten einzuschätzen?

Droht den USA eine Rezession?

Als Hauptargument für die Kursverluste wurde der US-Arbeitsmarktbericht vom vergangenen Freitag angeführt. Die Zahl der neu geschaffenen Stellen fiel mit 114.000 deutlich niedriger aus als in den Vormonaten. Gleichzeitig stieg die Arbeitslosenquote auf 4,3 Prozent. Dies ist zwar immer noch ein niedriger Wert, jedoch steigt die Quote damit seit dem Frühjahr 2023 kontinuierlich an (der Tiefpunkt lag damals bei 3,4 Prozent). Der Anstieg ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil er die sogenannte „Sahm-Regel“ auslöst, die gemeinhin als guter Rezessionsindikator gilt (zu den Details dieses Indikators siehe unseren Flash Report der Vorwoche).

Allerdings war in früheren Rezessionen die Arbeitslosenquote fast immer höher als heute und/oder es gab einen expliziten Stellenabbau.

Auch die Erfinderin dieser Regel, die US-Ökonomin Claudia Sahm, sagt, dass es sich bei dieser nicht um ein Naturgesetz handelt. Ob die Sahm-Regel also tatsächlich ein Rezessionsindikator ist, bleibt abzuwarten. Als Ökonom und Investor sollte man sich ohnehin nie auf nur einen Indikator verlassen, wenn es darum geht, eine Rezession oder die Entwicklung an den Kapitalmärkten zu prognostizieren. Auch die inverse Zinsstrukturkurve, die als unfehlbarer Rezessionsindikator galt, hat diesmal nicht funktioniert.

Wirtschaftdaten deuten auf Wachstum hin

Die meisten Wirtschaftsdaten, die wir beobachten, deuten auf ein weiterhin solides Wachstum in den USA hin. Indikatoren wie die der New Yorker Fed oder der regionalen Notenbank von Atlanta, die das Wirtschaftswachstum quasi in Echtzeit messen, deuten auf ein unverändert kräftiges Wirtschaftswachstum von zwei bis drei Prozent im dritten Quartal hin.

Auch die Daten, die das National Bureau of Economic Research (NBER) heranzieht, um den „offiziellen“ Beginn einer Rezession zu erklären, sind derzeit unauffällig.

Beschäftigung, Industrieproduktion, verfügbare Einkommen und die Umsatzentwicklung der Unternehmen weisen alle eine positive Veränderungsrate gegenüber dem Vorjahr auf. Für eine Rezession müssten jedoch mindestens drei dieser Indikatoren eine negative Jahresveränderungsrate aufweisen.

Übertriebene Inflationsängste

Aufgrund der Abschwächung am Arbeitsmarkt, die die US-Notenbank mit ihrer restriktiven Geldpolitik bewusst (und erfolgreich!) herbeigeführt hat, um den Inflationsdruck von der Lohnseite einzudämmen, dürfte der Konsum in den kommenden Monaten allerdings an Dynamik verlieren.

Es besteht immer die Gefahr, dass eine geldpolitische Straffung über das Ziel hinausschießt und in eine Rezession mündet.

Dies ist auch diesmal nicht auszuschließen, die aktuelle Datenlage lässt ein solches Szenario unseres Erachtens aber nicht zu. Sollten sich die Konjunkturdaten deutlich abschwächen, hat die US-Notenbank mit einem Leitzins von fast 5,5 Prozent reichlich Munition, um gegenzusteuern. Daher halten wir die Rezessionsängste für übertrieben.

Enttäuschende Unternehmensergebnisse?

Wenig überzeugende Unternehmensberichte in der laufenden Berichtssaison bei gleichzeitig hohen Aktienbewertungen waren ein weiteres Argument für den starken Kursrückgang. Ob man von den Zahlen enttäuscht ist oder nicht, hängt natürlich immer vom jeweiligen Betrachter und dem einzelnen Unternehmen ab.

Betrachtet man jedoch nüchtern die Gesamtheit der bisher veröffentlichten Q2-Gewinne, so lässt sich ein positives Fazit ziehen: So haben von 440 Unternehmen aus dem S&P 500 80 Prozent die in sie gesetzten Gewinnerwartungen übertroffen.

Der Anteil der positiven Überraschungen ist damit in etwa so hoch wie in den Vorquartalen. Qualitativ ist dieser „earnings beat“ jedoch besser zu bewerten, da es anders als sonst im Vorfeld der Berichtssaison zu keinen oder nur geringen Abwärtsrevisionen der Erwartungen kam; dies gilt insbesondere für den Technologiesektor. Die zu überwindende Hürde war also diesmal höher. Dennoch hat sich das Gewinnwachstum im zweiten Quartal besser entwickelt als erwartet: Statt der vor Beginn der Berichtssaison am 30. Juni erwarteten 9,0 Prozent beträgt der Zuwachs gegenüber dem Vorjahresquartal nun 12,4 Prozent.

Nur Materials und Industrials schwächer als im Vorjahr

Prozentual zweistellige Gewinnzuwächse verzeichneten die Sektoren Communication Services (+27 Prozent), vor allem dank Meta (+73 Prozent), Netflix (+48 Prozent) und Alphabet (+31 Prozent), Information Technology (+19 Prozent), Financials (+18 Prozent), Health Care (+15 Prozent), Utilities (+15 Prozent) und Consumer Discretionaries (+13 Prozent), unter anderem dank Amazon (+94 Prozent).

Geringere Gewinne als im Vorjahr verzeichneten die Sektoren Materials (-9 Prozent) und Industrials (-2 Prozent).

Die positive Entwicklung wird auch dadurch unterstrichen, dass die Gewinnmarge der Unternehmen laut dem Datenbankanbieter Factset im zweiten Quartal auf 12,1 Prozent gestiegen ist (nach 11,8 Prozent im Vorquartal).

Auch Europa kann überzeugen

Interessanterweise zeigt die quantitative Analyse der gemeldeten Unternehmensgewinne, dass auch in Europa der Anteil der positiven Gewinnüberraschungen überdurchschnittlich hoch ist. Diese Tatsache ist in der medialen Berichterstattung völlig untergegangen.

Im Dax haben bisher von 26 Unternehmen knapp 70 Prozent besser abgeschnitten als erwartet, der historische Durchschnitt liegt bei rund 60 Prozent.

Der Euro Stoxx 50 und der Stoxx 50 schneiden in dieser Betrachtung noch besser ab: Beide Indizes weisen positive Überraschungsquotienten von rund 80 Prozent auf, während der historische Durchschnitt bei knapp 60 Prozent liegt.

Beim Stoxx 600 hingegen entspricht der Anteil der positiv berichtenden Unternehmen an allen Unternehmen in etwa dem historischen Durchschnitt von 60 Prozent.

Dies deutet darauf hin, dass große Unternehmen im aktuellen Umfeld besser abschneiden als kleine und mittlere Unternehmen. Dies zeigt sich beispielsweise in Deutschland daran, dass im MDAX und SDAX die Mehrheit der Unternehmen die Erwartungen verfehlt hat.

Nun könnte man argumentieren, dass es sich bei den Q2-Gewinnen um einen Blick in den Rückspiegel handelt und die Kurse deshalb unter Druck geraten sind, weil die Ausblicke der Unternehmen für das nächste Quartal auf eine deutliche Verschlechterung des Umfelds hindeuten.

Tatsächlich haben die Unternehmensanalysten ihre Gewinnschätzungen für die Unternehmen des S&P 500 für das dritte Quartal zuletzt um rund zwei Prozent nach unten korrigiert.

Diese Revisionen entsprechen laut Factset jedoch dem, was in der Vergangenheit zu diesem Zeitpunkt für das Folgequartal üblicherweise zu beobachten ist. Auf Sektorebene gab es die stärksten Abwärtsrevisionen im Energiesektor, gefolgt von Industrials und Materials. Dagegen bleiben die Prognosen für den Sektor Technology stabil.

Geopolitische Unsicherheiten und Auflösung von Carry Trades

Neben den Ängsten vor einer möglichen US-Rezession und den häufig zu beobachtenden negativen Kommentaren zu den Unternehmensergebnissen dürften zwei weitere Faktoren für die Kursturbulenzen an den Aktienmärkten verantwortlich sein: Die geopolitischen Unsicherheiten, die sich aus einem möglicherweise bevorstehenden Angriff des Iran auf Israel ergeben, sowie die Auswirkungen der Zinserhöhung der Bank of Japan.

Ein möglicher Flächenbrand im Nahen Osten könnte sich vor allem über einen höheren Ölpreis negativ auf die Weltwirtschaft auswirken. Doch trotz der angespannten politischen Lage in der Region ist der Ölpreis in den vergangenen fünf Wochen gesunken; so hat sich der Preis für ein Barrel der Sorte Brent von gut 80 US-Dollar Anfang Juli auf 70 US-Dollar zu Beginn dieser Woche abgeschwächt. Konjunkturelle Bremseffekte und eine neue Ölpreiskrise sind derzeit nicht erkennbar.

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Auch die mögliche Auflösung so genannter „Carry Trades“ könnte hinter dem zwischenzeitlichen Ausverkauf am Aktienmarkt vor allem in Japan gestanden haben. Bei einem Carry Trade nehmen Investoren einen Kredit in einer niedrig verzinsten Währung ­ hier dem japanischen Yen ­ auf und legen dieses Geld in einer höher verzinsten Anlageklasse an, entweder in der gleichen oder in einer anderen Währung.

Nachdem die japanische Notenbank in der vergangenen Woche die Zinsen erhöht und eine weitere Straffung der Geldpolitik angekündigt hat, ist diese Handelsstrategie unattraktiver geworden.

So plausibel dieses Argument klingt, so schwierig ist es (für uns) zu überprüfen, da es einfach keine öffentlich zugänglichen Daten gibt, die diese These bestätigen oder widerlegen.

Langfristige Anlagestrategie entscheidend

Was bedeutet das alles für Anlegerinnen und Anleger? Aus unserer Sicht sind die viel diskutierten Gründe für den Kursrutsch allesamt nicht wirklich überzeugend, auch wenn die Argumente für sich und in der Summe plausibel klingen mögen. Aber: Die US-Wirtschaft befindet sich nicht in einer Rezession und die Unternehmensgewinne entwickeln sich gut. Über den Einfluss der Zinserhöhung in Japan kann man nur spekulieren. Innerhalb weniger Tage hat sich die Interpretation der Einflussfaktoren auf das Börsengeschehen jedoch völlig verändert. Schwächere Konjunkturdaten werden nicht mehr positiv (von der Notenbank erwünscht und für Zinssenkungen notwendig), sondern negativ (Vorbote einer Rezession) interpretiert.

Dennoch: Panik ist bei Anlageentscheidungen nie ein guter Ratgeber. Anleger sollten bei Investitionen in Aktien immer eine langfristige Perspektive haben.

Zwischenzeitliche Kursverluste, auch wenn sie schmerzhaft sind, gehören zu einer Aktienanlage dazu. Es wurde schon oft der Weltuntergang prophezeit ­Tatsache ist, dass sich die Aktienkurse bisher von jedem Einbruch wieder erholt haben. Jetzt zu verkaufen macht eigentlich nur Sinn, wenn man sich vom Timing her zutraut, wieder tiefer einzusteigen. Das hat aber meist mehr mit Glück als mit kluger Analyse zu tun. Für alle, die noch nicht investiert sind, ist der Rücksetzer dagegen eine Chance, günstiger als in den letzten Wochen in den Aktienmarkt einzusteigen. Dazu muss man aber auch die Volatilität des Aktienmarktes aushalten können.

Turbulenzen aber weiche Landung?

Es ist davon auszugehen, dass die Aktienmärkte zunächst unruhig bleiben werden, da die aktuellen Kursbewegungen viele Marktteilnehmer verunsichert haben. Hinzu kommt, dass in den Sommermonaten die Liquidität an den Märkten abnimmt und somit bereits kleinere Orders größere Kursbewegungen auslösen können. Historisch gesehen sind August und September ohnehin die beiden schwächsten Monate an den Aktienmärkten, so dass einige diese Zeit für Gewinnmitnahmen nutzen werden.

Unsere Analyse zeigt aber auch, dass das bisher gültige Narrativ des „soft landing“ noch nicht abgeschrieben werden muss.

Ein moderates Wirtschaftswachstum bei nachlassendem Inflationsdruck und einer expansiveren Geldpolitik ist ein optimales Szenario für die Kapitalmärkte. Und da bei den Kurseinbrüchen der vergangenen Woche vor allem Aktien mit sehr stabilen Fundamentaldaten abgestraft wurden, sollten sich die Kurse allmählich wieder erholen können.

Foto von Joshua Eckl von Unsplash

Autor: Carsten Klude

Carsten Klude studierte nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank VWL mit Schwerpunkt Ökonometrie in Kiel. 1996 kam er zu M.M.Warburg & CO, für die er zunächst die europäischen Kapitalmärkte analysierte und später mit der Leitung des Makro-Research betraut wurde. Seit dem Jahr 2009 ist Herr Klude Mitglied im Investmentrat von M.M.Warburg & CO und verantwortet seit dem Sommer 2013 das Asset Management der Bank. Zusätzlich ist Herr Klude seit dem Jahr 2010 Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bundesverbandes deutscher Banken e.V., dessen Vorsitz er von 2015 bis 2018 inne hatte.

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