Die Geschichte von unterbewerteten Aktien, bösen Banken und unmündigen Kunden

Der Gesetzgeber und die Gerichte scheinen zu unterstellen, dass Verbraucher maximal grenzdebil sind und sich von bösen Banken stets grenzenlos und unreflektiert ausbeuten lassen. Denn Banken ist es untersagt, sich zu konkreten Aktien zu äußern und Empfehlungen zu Einzelwerten abzugeben. Wer uns kennt, weiß, dass wir trotzdem nicht so schnell aufgeben. Sollte es wirklich ganz unmöglich sein, Aussagen zur vermeintlichen Attraktivität von Aktien zu treffen?

Eigentlich klingt es nach einer vergleichsweise einfachen Aufgabe, Aussagen zur Bewertung von Aktien zu treffen und Rückschlüsse daraus zu ziehen, welche Titel und Sektoren ein besonders attraktives Bewertungsniveau aufweisen. Und tatsächlich – wenn man es sich ganz einfach machen will, reicht schon der Blick auf Kennzahlen wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), um Aktien oder ganze Sektoren bewertungstechnisch in eine Reihenfolge zu bringen und daraus eine (vermeintliche) relative Attraktivität abzuleiten. Wer allerdings ernsthaft glaubt, dass sich auf Basis einer derart trivialen Vorgehensweise ein spürbarer Mehrwert erzielen ließe, unterschätzt die Effizienz der Kapitalmärkte.

Wenn eine Aktie ein niedriges KGV aufweist, dann hat das in der Regel seinen Grund. Eher selten liegt der Fall vor, dass Investoren ein unternehmerisches Juwel komplett übersehen und daher am Markt falsch bewerten. Vielmehr kann man davon ausgehen, dass ein niedriges KGV in der Regel mit einer sehr geringen oder nicht vorhandenen Profitabilität oder einer schlechten Bilanzqualität einhergeht. Was auf den ersten Blick als „Schnäppchen“ erscheint, entpuppt sich daher bei genauerer Analyse nicht selten als Rohrkrepierer.

Die schwierig zu beantwortende Frage ist aber die: welchen Bewertungsabschlag rechtfertigen eine niedrige Profitabilität oder eine schwache Bilanzqualität. Hier existiert keine Lehrbuchlösung und auch keine Daumenregel; zu einem gewissen Grad wird jeder Analyst und Investor für sich selbst die Frage beantworten müssen, ob in einem konkreten Fall nun ein Bewertungsabschlag gerechtfertigt ist oder nicht. Und es kommt noch schlimmer: Es gibt Marktphasen, in denen Aktien in ihren Kursen und damit auch in ihren KGVs auf das heftigste für „Mängel“ in der Profitabilität, dem Gewinnwachstum oder der Bilanzqualität bestraft werden, während in anderen Marktphasen diesbezüglich weitgehende Gleichgültigkeit herrscht. Unter solchen Umständen erscheint es fast unmöglich, mit hinreichender Konfidenz von klar unter- oder überbewerteten Aktien sprechen zu können – es zeugt sogar in gewisser Weise von fehlender Demut, wenn man hier glaubt, stets glasklare Aussagen treffen zu können.

Übertreibt der Markt auf der Suche nach dem fairen Wert?

Wer uns allerdings kennt, weiß auch, dass wir trotzdem nicht so schnell aufgeben. Sollte es wirklich ganz unmöglich sein, Aussagen zur vermeintlichen Attraktivität von Aktien zu treffen? Ganz so schlimm ist es vermutlich nicht. Auch wenn sich der Markt immer auf der Suche nach dem fairen Wert befindet, dürfte wohl kaum jemand glauben, dass ihm das jeden Tag mit hoher Treffsicherheit gelingt. Schließlich liegt die Volatilität der Kurse um ein Vielfaches über der Volatilität der zugrundeliegenden Fundamentaldaten – ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Markt auf seiner Suche zuweilen übertreibt und über das Ziel hinausschießt. Und genau diese Momente können genutzt werden, um hier und da doch ein wenig Goldstaub einzusammeln. Doch wie kann man hier systematisch vorgehen? Goldstaub macht schließlich auch erst dann richtig Spaß, wenn man ihn in größeren Mengen besitzt, und dafür braucht man einen Plan und ein Konzept.

Unser Konzept zur systematischen Analyse der Bewertung von Aktien

Wir schlagen hier an dieser Stelle ein Konzept zur systematischen Analyse der Bewertung von Aktien vor, das zumindest in dieser Form (nach unserem Kenntnisstand) bisher so nicht publiziert wurde. Und so sieht unser Vorschlag aus:

  1. Zunächst einmal unterstellen wir, dass es „die“ Bewertungskennzahl schlechthin gar nicht gibt. Neben dem KGV existieren viele weitere Kennzahlen, die die Bewertung einer Aktie aus verschiedenen Blickwinkeln beschreiben. Wir verwenden in unserer Analyse etwa 50 verschiedene Bewertungskennzahlen.
  2. Jeder dieser Bewertungskennzahlen wird nun eine große Anzahl anderer Kennzahlen gegenübergestellt, mit denen die Bilanzqualität, die Profitabilität oder beispielsweise die Kursvolatilität der Aktie beschrieben werden kann. Das geschieht mit Hilfe einer sog. multiplen Regressionsanalyse. Dabei handelt es sich um ein statistisches Verfahren, anhand dessen versucht wird, die eine Kennzahl (in diesem Fall die Bewertungskennzahl) bestmöglich durch andere Kennzahlen zu erklären. So lässt sich im Idealfall mit statistischen Mitteln eine „faire“ Bewertung herleiten, aus der dann in einem zweiten Schritt eine konkrete Über- oder Unterbewertung einzelner Aktien abgeleitet werden kann.Bis hierhin ist diese Vorgehensweise wenig spektakulär.So oder so ähnlich wird weltweit vorgegangen, wenn man mit statistischen Verfahren nach möglichen Unterbewertungen von Aktien fahndet. Wie so oft liegt leider auch hier der Teufel im Detail. Denn je nach Spezifikation der Modelle und der verwendeten Kennzahlen kommt man zu anderen Ergebnissen. Das muss auch so sein, denn die „Weltformel“ zur Ableitung einer fairen Bewertung kann und wird es niemals geben. Allerdings lässt sich der Fehler durch eine Fehlspezifikation des Modells dadurch dramatisch reduzieren, dass eine extrem hohe Anzahl an möglichen (natürlich jeweils plausiblen) Modellen und Spezifikationen gerechnet wird. Und genau das ist unser Ansatzpunkt
  3. Statt mit einer Gleichung zu arbeiten und zu glauben, dass man damit die Bewertung von Aktien hinreichend gut beschreiben kann, erstellen wir automatisch tausende von Gleichungen, die alle die Frage der fairen Bewertung aus einem marginal anderen Blickwinkel erfassen. Letztlich erhält man so Ergebnisse, die auf einer statistisch extrem breiten Basis stehen, bei der sich einzelne Verzerrungen und Fehler in der Summe (hoffentlich) so weit wie möglich ausgleichen und damit neutralisieren.

Wir würden Ihnen ja gerne die attraktiv bewerteten Aktien zeigen,…

Der geneigte Leser wird sich spätestens an dieser Stelle fragen, welche Aktien denn nun bei einer solchen Analyse positiv auffallen, denn das ist ja schließlich der Sinn der Übung. Und natürlich könnten wir Ihnen diese Liste an attraktiv bewerteten Aktien an dieser Stelle auch zeigen, nur dürfen wir das leider nicht mehr. Ja, Sie haben richtig gelesen: Wir würden durchaus gerne unsere Erkenntnisse mit Ihnen teilen, aber der Gesetzgeber und die Regulierungsbehörden haben in der Folge einer über das Ziel hinausschießenden Überregulierung genau diesem Informationsaustausch einen Riegel vorgeschoben.

Der Grund dafür ist leicht erklärt: Sowohl der Gesetzgeber als auch die Rechtsprechung gehen inzwischen davon aus, dass es den mündigen und geschäftsfähigen Bürger und Verbraucher nicht mehr gibt. Der Gesetzgeber und die Gerichte scheinen dagegen zu unterstellen, dass Verbraucher maximal grenzdebil sind und sich von bösen Banken stets grenzenlos und unreflektiert ausbeuten lassen. Und genau daher dürfen wir in einer solchen Publikation auch keine vermeintlich attraktiven Aktien mehr benennen.

Denn es könnte ja sein, dass Sie, lieber Leser, wie von der Tarantel gestochen zur nächsten Bankfiliale laufen, Ihr Haus verpfänden und Ihr Vermögen auf diese wenigen Aktien setzten, und dabei von der Bank bei der Transaktion auch noch über die Ohren gehauen werden. Dass eine solche Research-Publikation auch einfach dem Zweck dienen könnte, einen gepflegten Austausch über Kapitalmarktthemen zu betreiben, bei dem die Bank ein fairer Ratgeber und Sparringpartner ist, darauf kommt man scheinbar gar nicht mehr. Sie können uns glauben, dass wir an diesem Sachverhalt fast verzweifeln. Hier wird Banken ein Geschäftsgebaren unterstellt, das schon aus einem ureigenen wirtschaftlichem Interesse gar keinen Sinn ergibt.

Regulatorisch verordnete „Funkstille“ öffnet unseriösen Anlagegurus Tür und Tor

Und es ist ja noch viel schlimmer: Das Vakuum, das sich hier durch die erzwungene Funkstille der Banken ergibt, wird leider zum immer größeren Teil von unseriösen Finanzgurus gefüllt, die im Internet und anderen Medien ihr Unwesen treiben und (anders als bei einer Bank) keiner Regulierung unterliegen. Es ist kaum vorstellbar, dass der Gesetzgeber dies möchte, aber genau das passiert, wenn man – weitgehend der echten Welt entrückt und primär ideologisch geprägt – sein Handwerk betreibt.

Wir wagen es: Diese Industriegruppen bewerten wir als attraktiv

Natürlich wollen wir diese Publikation nicht damit beenden, gar keine Aussage zu Bewertungsthemen zu treffen. Aber selbst auf sektoraler Ebene fällt es uns schwer, ein klares Ergebnis zu benennen. Denn zumindest auf der oberen Ebene der Sektorklassifikation existieren ETFs und Zertifikate, für die wir dann indirekt „Werbung“ machen würden – was in der neuen Welt der Bankenregulierung wiederum (Sie ahnen es schon) heikel wäre. Aktien lassen sich jedoch auch in Industriegruppen einteilen, und für diese Industriegruppen existieren i.d.R. keine gängigen Finanzinstrumente mit dem exakten Zuschnitt dieser Gruppen. Und so haben wir es gewagt, Aussagen darüber zu treffen, welche Industriegruppe nach unserem Modell welche bewertungstechnische Attraktivität aufweist. Wir hoffen, dass wir so den Konflikt mit dem Gesetz vermeiden und nun nicht mit einem Fuß im Gefängnis stehen.

Um aber ganz sicher zu sein, dass uns aus dieser Zusammenstellung kein Strick gedreht wird, verraten wir an dieser Stelle lieber erst gar nicht, ob es sich hier beispielsweise um europäische, US-amerikanische oder gar globale Sektoren handelt.

Tabelle der Über- oder Unterbewertung von Sektoren auf der Ebene der Industriegruppen

Das wünschen wir uns für die Zukunft

Dass es sich momentan um eine realsatirische, fast kafkaeske Situation handelt, dürfte dabei allen klar sein; wir können nur hoffen, dass die Politik diesem surrealen Spuk ein baldiges Ende bereiten wird, so dass wir unsere Kunden bald wieder so behandeln dürfen, wie Sie es verdient haben: Als mündige Bürger und erwachsene Menschen.

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Bildcredit: go2 / photocase.de
Christian Jasperneite

Autor: Dr. Christian Jasperneite

Dr. Christian Jasperneite studierte an der Universität Passau VWL und promovierte anschließend an der Universität Passau am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard University begann er im Jahr 2000 als Analyst im Makro-Research von M.M.Warburg & CO. Seit Anfang 2009 ist Dr. Jasperneite Chief Investment Officer bei M.M.Warburg & CO und verantwortet dort u.a. Fragen der strategischen und taktischen Allokation sowie der Portfoliokonstruktion und der Produktentwicklung.

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