Aktienmärkte: Schwellenländer oder Industrieländer?

In Finanzblogs wird häufig ein Portfolio bestehend aus dem MSCI World und dem MSCI Emerging Markets Index als Goldstandard angepriesen. Der Clou: Mit einer solchen Anlagestrategie profitieren Anlegerinnen und Anleger von einem extrem breit diversifizierten Portfolio: So partizipieren sie an der Wertentwicklung von 2.840 Aktien aus insgesamt 23 Industrieländern und 24 Schwellenländern.

Der Ansatz hat jedoch aktuell einen Haken: Während der MSCI World Index seit der Corona-Pandemie kräftig an Wert gewann, blieb der MSCI Emerging Markets Index hinter den Erwartungen zurück.

Lieber keine Aktien mehr aus Schwellenländern?

Sollten Aktien aus Schwellenländern also aus dem Portfolio verschwinden und reicht womöglich der MSCI World Index aus?

Stolperstein China

Seit Januar 2020 hat der MSCI World Index eine Wertsteigerung in Höhe von rund 61 Prozent erzielt. Die positive Wertentwicklung ist dabei insbesondere auf die Stärke des US-Aktienmarktes zurückzuführen, denn rund 70 Prozent des MSCI World Index entfallen auf den US-Aktienmarkt. Die Anlegeregionen Japan (sechs Prozent), Großbritannien (vier Prozent) sowie Frankreich und Kanada (jeweils drei Prozent) haben dagegen nur einen geringen Einfluss. Unter Risikogesichtspunkten birgt diese Länderkonzentration ein großes Klumpenrisiko (vgl. Konjunktur und Strategie vom 16.05.2024: „Aktienmarktindizes: Wie groß ist das Klumpenrisiko?“).

Deutlich breiter diversifiziert ist der MSCI Emerging Markets Index.

Die größte Anlageregion im Schwellenländerindex ist China mit einem Anteil von 27 Prozent, gefolgt von Indien (18 Prozent), Taiwan (17 Prozent) und Südkorea (12 Prozent). Allerdings fällt die Wertentwicklung des MSCI Emerging Markets Index seit Januar 2020 mit lediglich elf Prozent erheblich geringer aus. Dabei ist die relative Schwäche insbesondere auf die schwache Wertentwicklung des chinesischen Aktienmarktes zurückzuführen.

Woran liegt die schwache Wertentwicklung des MSCI Emerging Markets Index?

Lange Zeit war China mit beispiellosen Wachstumsraten der Motor der Weltwirtschaft. Seit dem Jahr 2000 wuchs die chinesische Wirtschaft um durchschnittlich mehr als acht Prozent pro Jahr, beflügelt unter anderem durch den Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO im Jahr 2001. Doch inzwischen ist das exportgetriebene Wachstumsmodell Chinas in erhebliche Schwierigkeiten geraten und wies in den letzten Jahren neben konjunkturellen auch strukturelle Herausforderungen auf (u.a. demografischer Wandel und Krise auf dem Immobilienmarkt).

Regulatorische Eingriffe seitens chinesischer Regierung

Aber auch regulatorische Eingriffe seitens der Regierung haben vor allem ausländische Anleger verschreckt. Unvorhersehbare Maßnahmen seitens des chinesischen Politbüros führten beispielsweise dazu, dass börsennotierte Unternehmen gezwungen wurden, ihr Geschäftsmodell zu verändern und zukünftig als Non-Profit-Organisation aufzutreten.

Besser sieht die Wertentwicklung von Aktien aus Schwellenländern aus, wenn China als Anlageregion ausgeschlossen wird.

So beläuft sich die Performance des MSCI Emerging Markets ex China Index seit Januar 2020 auf immerhin 25 Prozent. Dass sie nicht noch besser ausfällt, liegt daran, dass die beschriebenen Schwierigkeiten Chinas aufgrund der engen Handelsverflechtungen auf die Nachbarländer ausstrahlen und asiatische Volkswirtschaften gleichzeitig den MSCI Emerging Markets Index dominieren.

Andere Schwellenländer, beispielsweise aus Südamerika, haben hingegen nur ein geringes Gewicht im Index.

Jedoch zählten Aktien aus Südamerika zuletzt zu den relativen Gewinnern, da sie von den gestiegenen Rohstoffpreisen profitierten. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen zählen Brasilien (Platz drei nach den USA und der EU) und Argentinien (Platz zehn) zu den weltweit wichtigsten Agrarexporteuren. Folglich profitierten sie von den Preissteigerungen für Soja, Mais oder Zucker. Aber auch industrielle Rohstoffe wie Eisenerz und Bauxit aus Brasilien, Kupfer aus Chile und Peru oder Lithium aus Argentinien, die essentiell für die Entwicklung von Zukunftstechnologien sind, werden massiv gefördert und exportiert. Das Zwischenfazit lautet also: Der MSCI Emerging Markets Index war in den letzten vier Jahren ein Bremsklotz im Portfolio.

Die langfristige Perspektive

Wer in Aktien investiert, sollte aber einen längeren Anlagehorizont zugrunde legen: mindestens fünf Jahre, besser aber zehn Jahre und länger. Daher empfiehlt sich auch ein längerfristiger Blick auf die beiden globalen Indizes. In der Tat ergibt sich insbesondere für jüngere Aktieninvestoren ein überraschendes Bild.

So liegt der MSCI Emerging Markets Index seit 1987 mit einer annualisierten Rendite von 9,5 Prozent vor dem MSCI World Index (8,3 Prozent p.a.).

Er rechtfertigt somit seinen Platz in einem global ausgerichteten Aktienportfolio, wenngleich die Outperformance mit einem höheren Risiko einhergeht. Ein Blick auf den Verlauf der aktiven Rendite des MSCI World Index gegenüber des MSCI Emerging Markets Index zeigt jedoch, dass der Schwellenländerindex bereits seit 2011 eine relativ schlechtere Wertentwicklung aufweist.

Wie sollten sich Anleger positionieren?

In den letzten Wochen haben sich chinesische Aktien wieder erholt und damit dem Schwellenländerindex Rückenwind verliehen. Ausschlaggebend waren unter anderem verbesserte Wirtschaftsdaten aus China, die die Hoffnung auf eine konjunkturelle Trendwende schürten.

Eine konjunkturelle Trendwende in China auszurufen, ist aber sicherlich noch verfrüht, und gleichzeitig dürfen die anhaltenden strukturellen Herausforderungen im Reich der Mitte nicht ignoriert werden.

Was den chinesischen Aktienmarkt und den MSCI Emerging Markets Index für den ein oder anderen Investor jedoch attraktiv macht, sind die günstigen Bewertungen.

China Direktinvestment eher nicht

Ein Direktinvestment in den chinesischen Kapitalmarkt scheidet für uns aufgrund der politischen Risiken weiterhin aus. So hat der hochgradig kontrollfixierte und ideologische Regierungsstil des chinesischen Politbüros bei uns zu einem immensen Vertrauensverlust geführt, der einen Einstieg trotz erheblicher Bewertungsabschläge nicht rechtfertigt.

Gleichzeitig drohen im Falle einer geopolitischen Eskalation zwischen China und Taiwan schwerwiegende protektionistische Reaktionen gegen das kommunistisch regierte Land.

Wer trotzdem indirekt von einer konjunkturellen Erholung Chinas profitieren möchte, kann stattdessen auf die Nachbarländer setzen und beispielsweise einen Schwellenländerindex ohne China allokieren. Mit Blick auf den langfristigen Vermögensaufbau werden wir nicht müde zu predigen, dass eine breite Diversifikation unerlässlich ist. Wie unsere Analyse aber unterstreicht, kann es taktisch durchaus sinnvoll sein, bestimmte Anlageregionen (temporär) unterzugewichten oder gar aus dem Portfolio zu streichen.

Simon Landt

Autor: Simon Landt

Simon Landt hat einen Bachelor der Volkswirtschaftslehre der Universität Kiel sowie einen Master in Quantitative Finance und in Quantitative Economics an der Universität Kiel und an der School of Economics and Business der Universität Ljubljana absolviert. Nach seinem einjährigen Traineeprogramm startete er als Analyst im Makro Research. Seit Oktober 2021 arbeitet Simon Landt im Makro Research zusammen mit Carsten Klude und Dr. Christian Jasperneite. Er ist spezialisiert auf Analysen des aktuellen Marktumfeldes und die Bedeutung für Aktien- und Anleihenmärkte. Seit März 2024 unterrichtet Simon Landt den Masterkurs „Portfolio- und Assetmanagement“ an der Northern Business School.

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